Foto: Ingo Pertramer
March 16, 2025
Starkoch Paul Ivic über Resteverwertung, ein Aha-Erlebnis am Marktstand und die Frage, warum er es aufgegeben hat, Preise zu verhandeln.
Sie leiten das mit Abstand höchstdekorierte Küchenteam Österreichs – spielt das Thema Restlessen in Ihren Restaurants überhaupt eine Rolle?
Restlessen spielt direkt nicht wirklich eine Rolle, weil wir praktisch keine Reste haben. Wir machen uns allerdings auch die ganze Zeit Gedanken, wie wir alles am besten verwerten können.
Warum eigentlich?
Unsere Produzenten liefern uns fantastische Lebensmittel – die wollen wir nicht verschwenden. Außerdem ist es auch eine ökonomische Notwendigkeit, weil wir den Lieferanten immer das zahlen, was sie verlangen.
Wie bitte?
Ja – dabei kenne ich das auch anders. Jahrelang habe ich hart verhandelt, es sogar den alten Haudegen im Geschäft gezeigt.
Und dann?
Ist mir klar geworden, dass das ein Blödsinn ist. Die Lieferanten müssen dafür an der Qualität sparen. Irgendwann habe ich verstanden, dass ich selbst die Ursache bin. Ich habe Küchen gesehen, wo hart verhandelt wurde – und dann der Müllraum voll war mit Lebensmitteln, die noch hätten verwendet werden können. Wir tüfteln daher immer so lange, bis wir alles verarbeiten können. Manchmal ist es aber schwierig.
Wobei zum Beispiel?
Etwa bei den Stielen von Artischocken. Die Blätter fermentieren und dehydrieren wir und geben sie dann in Suppen. Aber die Stiele sind wirklich eine Herausforderung.
Wie ist es dazu gekommen, dass Sie sich dem kompromisslosen Verwerten von Lebensmitteln widmen – und sogar ein Buch darüber geschrieben haben?
Mir ist das seltsamerweise erst spät, so mit 30 herum, bewusst geworden. Denn eigentlich bin ich schon so aufgewachsen: Meine kroatischen Großeltern waren praktisch Selbstversorger, es gab Felder, Tiere, alles wurde verwendet. Für mich war das als Kind das Paradies. Das Schlachten einer Kuh machte mich zwar immer sehr traurig, aber dadurch gab es eben auch Essen für fast zwei Jahre. Auch in meinen Lehrbetrieben wurde immer auf Qualität geachtet. Aber irgendwie habe ich später trotzdem den Bezug dazu verloren und den Profit über alles gestellt.
Und wie kam es dann zum Wandel?
Ich wurde krank – körperlich und psychisch. Dann habe ich mich mit gesunder Ernährung auseinandergesetzt und gemerkt, dass ich mich nicht nur selbst schlecht ernährt habe, sondern auch meine Gäste: Zuchtlachs, antibiotikaverseuchte Tiere, Gemüse und Obst voller Pflanzenschutzmittel. Also habe ich begonnen, mich selbst besser zu ernähren und hatte nach ein paar Monaten wieder bessere Blutwerte. Außerdem hatte ich prägendes Erlebnis an einem Marktstand.
Was ist da passiert?
Die Marktfrau schwärmte nur so von ihren Eiern und wie sie mit ihren Beschäftigten umgeht. Ich war aber ungeduldig und wollte schnell weiter. Da hat sie sich schlicht geweigert, mir ihre Eier zu verkaufen. Ich habe sie dann doch überreden können, mir daheim Rührei zubereitet und war plötzlich wieder das glückliche Kind, das daheim über die Felder läuft. So habe ich meine Lebensfreude wiedergewonnen – und endlich Klarheit, wie ich mit Lebensmitteln umgehen möchte.
Im Schnitt landen in jedem österreichischen Haushalt Dutzende Kilo Lebensmittel pro Jahr im Müll – warum ist das problematisch?
800 Millionen Menschen hungern, 40 Millionen sind am Verhungern. Gleichzeitig werden unfassbare Mengen Lebensmittel weggeworfen, weil sie nicht den Normen entsprechen. Die Industrie behauptet, sie löst mit Mehrproduktion das Hungerproblem, dabei landet die Überproduktion im Mist.
Weggeworfen wird aber auch viel in den Haushalten.
Weil die Menschen nicht mehr wissen, wie man mit Lebensmitteln umgeht. Es wird oft nicht einmal mehr gekocht. Auch in den Kindergärten und Schulen gibt es meist industrielles Essen. Ernährung und Kochen gehört wieder in die Schulen! Die meisten Menschen haben leider keine Ahnung mehr von Lebensmitteln. Wie sollen sie dann mündige Konsumenten sein?
Was sind Ihre wichtigsten Tipps gegen Verschwendung?
Nehmen Sie einen 10-Euro-Schein in die Hand und werfen sie den in den Mist. Ich wette, Sie holen ihn wieder heraus. Genau das macht man mit Lebensmitteln. Es beginnt beim Einkaufen: Genau planen, was man einkauft und kein Großeinkäufe, bitte. Es gibt überall Supermärkte, besser man geht mehrmals in der Woche. Das musste ich auch selbst erst lernen.
Dann kann man sich Inspiration aus dem Internet holen. Aus altem Brot kann man zum Beispiel Suppe, Knödel, Säfte und Desserts zubereiten. So gut wie jedes Obst und Gemüse lässt sich einrexen – wie das zum Beispiel meine Mutter immer gemacht hat. Und wenn es mal eine schlechte Stelle am Gemüse gibt: einfach wegschneiden.
Auch beim Lagern gibt es viel zu lernen: Manches Obst stößt Reifungsgase aus, Bananen etwa, die sollten deshalb allein gelagert werden, sonst reift alles in der Nähe zu schnell mit.
Sie verwenden auch Bestandteile, die fast immer im Abfall landen. Was zum Beispiel?
Aus Karottengrün lassen sich tolle Pestos oder Öle machen. Ihr Saft enthält viele Vitalstoffe. Viele Blätter, etwa von Roten Rüben oder Kohlrabi, lassen sich leicht zu einer Art Spinat verarbeiten. Man muss nur wissen, was zu beachten ist, dann kann man das alles essen. Keine Hemmungen beim Ausprobieren. Die besten Rezepte sind so entstanden, Knödel etwa oder Stosuppe waren ursprünglich auch aus der Not geboren - und schmecken fantastisch.
Koch Paul Ivic lässt nichts verkommen und zeigt, dass selbst Kohlrabiblätter schmecken können.
Aus Brot wird Gin
Die Tiroler Bäckerei Therese Mölk produziert aus altem Brot hochwertige Spirituosen wie verschiedene Gin- und Likör-Sorten. Die in der eigenen Destillerie anfallende Maische wird wieder für die Produktion von Weizenmischbrot verwendet. therese-moelk.at
Fischsauce vom Traunsee
LUVI Fermente verarbeitet anfallende Lebensmittel wie Fischreste aus der umliegenden Gastronomie mit Mikroorganismen zu Saucen, Misopasten und anderen Fermentationsprodukten. Alle Zutaten stammen aus der Region. luvifermente.eu
Gegen Überproduktion
Unverschwendet aus Wien rettet Obst und Gemüse aus der Überproduktion und verarbeitet dieses weiter zu Marmeladen, Chutneys und anderen Feinkostprodukten. Das Unternehmen kooperiert inzwischen auch mit Hofer. unverschwendet.at
Kernige Idee
Obstkerne sind ein Abfallprodukt. Nicht für Kern Tec, dort werden die hochwertigen Inhaltsstoffe aus Marillen-, Zwetschken und Kirschkernen zu Drinks, Ölen, Aufstrichen und Kosmetik verarbeitet. Viele dieser Produkte sind im Billa erhältlich. wunderkern.com
Altöl-Pfand
Über 50 Millionen Liter Altspeiseöl fallen jährlich in Österreich an. Ein wertvoller Rohstoff, der meist nicht einmal richtig entsorgt wird. In ausgewählten Märkten von Spar gibt es seit Kurzem Altöl-Sammelcontainer, an denen pro Liter 10 Cent rückvergütet werden. spar.at/nachhaltigkeit