Foto: Julia Bauer
March 16, 2025
Das Vienna Textile Lab nutzt Bakterien, um natürliche Farbstoffe herzustellen – für eine umweltfreundlichere Textilindustrie.
Traditionell wurden Textilien mit natürlichen Farbstoffen gefärbt. Diese stammten aus Pflanzen: Safran etwa sorgte für ein leuchtendes Gelb, Färberwaid für ein tiefes Blau. Auch Tiere wurden – und werden – im Namen der Eleganz ausgebeutet: Schildläuse etwa erzeugen einen roten Farbstoff, die Purpurschnecke trägt ihre Farbe bereits im Namen. Im Jahr 1856 allerdings erfand der britische Chemiker Sir William Henry Perkin den ersten synthetischen Farbstoff, das violette Mauvein. Farben konnten in der Folge industriell hergestellt werden, sie waren billiger und setzten sich schließlich durch.
Das Problem: Die heutige Welt der Farben basiert auf Erdöl und sorgt für eine enorme Umweltbelastung. „Pro Tonne Stoff werden bis zu 200 Tonnen Wasser verbraucht – und als Giftmüll in die Natur zurückgeführt“, erläutert Karin Fleck, „der Großteil des Wassers wird im Färbeprozess eingesetzt.“ Das Ergebnis: Der Textilsektor liegt bei der Wasserverschmutzung unter den Top 3 weltweit. Fleck möchte das ändern, deshalb hat sie im Jahr 2017 das Vienna Textile Lab (VTL) gegründet. In den Laboren im 3. Wiener Bezirk tüfteln die technische Chemikerin und ihr Team daher an den natürlichen Farbstoffen von morgen. Allerdings nutzen sie dafür weder Pflanzen noch Tiere, sondern Mikroorganismen wie Bakterien. „Unsere Farben sind biologisch abbaubar – wir nutzen die Natur, anstatt sie zu zerstören“, bringt es die inzwischen mehrfach preisgekrönte Gründerin auf den Punkt.
Foto: Loreto Binvignat Streeter
Kleid und Mantel von Loreto Binvignat Streeter (anima by Loreto), entstanden im Zuge des WORTH Partnership Projects.
Im VTL ist man bereits weit gekommen, es gibt gedeckte Farben wie Beige und Braun, auch Gelb-, Rot- und Blautöne haben Fleck und ihre Leute den Mikroorganismen bereits abgerungen. Doch warum produzieren Bakterien & Co. überhaupt Farbstoffe? „Sie reagieren damit auf ihre Umweltbedingungen“, so Fleck. Kurz gesagt muss man Bakterien schon ein bisschen unter Stress setzen, etwa mit Salzen, Licht oder Temperaturveränderungen. Beispiele dafür sind die berühmten Pink Lakes, die es auf allen Erdteilen gibt und die ihren Rosaton bestimmten Salzbakterien verdanken. Andere Mikroorganismen wiederum färben sich, weil sie dadurch in Symbiose mit anderen Lebewesen existieren können. Das Janthinobacterium Lividum etwa lebt in der Haut von Salamandern und hilft diesen bei der Abwehr von Pilzinfektionen. Aufgrund der unüberschaubaren Anzahl von Mikroorganismen, die großteils noch kaum erforscht sind, ist das Potenzial für solche natürlichen Farbstoffe enorm.
Die Frage ist aber, ob sie sich auch kommerziell verwerten lassen. Die Chancen dafür stünden nicht schlecht, sagt Fleck, deren Unternehmen bereits mit einem Luxuskonzern und der BASF zusammenarbeitet. Die BASF ist mit synthetischen Farben zum weltgrößten Chemieproduzenten aufgestiegen, hat ihr Farbgeschäft allerdings schon vor langer Zeit verkauft. Nun experimentiert sie wieder damit, was zumindest dafürspricht, dass sie in den bakteriellen Farben ein Zukunftspotenzial sieht. Auch Fleck sagt, dass viele ihre Farben mit synthetisch hergestellten konkurrieren können, herkömmlichen Naturfarbstoffe sind sie bereits jetzt preislich überlegen. Man brauche dafür allerdings noch etwas Geduld, „die 150 Jahre Rückstand zur synthetischen Farbwelt sind nicht so schnell aufzuholen“.
"Unsere Farben sind biologisch abbaubar – wir nutzen die Natur, anstatt sie zu zerstören."
Karin Fleck, Gründerin des Vienna Textile Lab
Foto: KrisnaCreations
Daneben tüftelt das VTL an noch außergewöhnlicheren Einsatzzwecken von mikrobiellen Textilveredelungen. In Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Weltraumforum und der EU-Raumfahrtorganisation ESA wurde etwa untersucht, wie sich Raumfahrtkleidung, die während der Missionen nicht gewaschen wird, länger frisch halten lassen könnte – ähnlich wie beim oben beschriebenen Salamander-Bakterium. „Ich wusste bis dahin auch nicht, dass es auf Weltraummissionen ziemlich ,miachtelt‘“, sagt Fleck grinsend.
Gut möglich also, dass Farbstoffe aus Wien dereinst ins All fliegen werden. Doch bis es so weit ist, haben die Gründerin und ihr Team noch genügend Herausforderungen auf ihrem Heimatplaneten zu bewältigen.
Foto: Julia Moser
Ganze Garnkonen färbten das VTL und ein Researchteam der JKU im Jahr 2021.
Foto: Julia Moser
Unter Stress gesetzte Bakterien produzieren umweltfreundliche Farbstoffe.
Karin Fleck arbeitete nach dem Studium der technischen Chemie zunächst in der Energiewirtschaft, bevor sie 2017 das Vienna Textile Lab gründete. Die Textilbranche hingegen hat es Fleck schon angetan: „Es ist ein hartes Business, ein globaler Player mit beinahe zwei Trillionen Dollar an Umsatz und ein massiver Ressourcenschlucker. Diese Industrie umzukrempeln, hat auf vielen Ebenen echten Wert für die Menschheit.“ Hinzu kommt Flecks Leidenschaft für Design und Farben. Ob Kleidung, Möbel oder Geschirr – daheim bei Fleck ist alles sehr bunt. „Ich liebe Farben so sehr“, sagt sie lachend, „dass es fast einem Zwang gleichkommt.“