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December 4, 2025
Mit bidirektionalem Laden wird das E-Auto zum Stromspeicher. Aber wie marktreif ist die Technologie und ist sie auch leistbar?
Wie weit fahren Sie heute noch mit Ihrem E-Auto? Im Durchschnitt, sagt die Statistik, legen Herr und Frau Österreicher 30 bis 70 km täglich auto-mobil zurück. Die Batterien von E-Autos sind aber auf Maximalreichweiten von 300 bis 700 km ausgelegt. Da liegt eine Menge Speicherkapazität brach, die man eigentlich nutzen könnte, solange das Auto bloß fad herumsteht. Man könnte mit dem „Akku auf vier Rädern“ das E-Bike laden oder die Wärmepumpe im Haus betreiben oder den überschüssigen Strom gar ins öffentliche Netz einspeisen und sich vom Energieversorger dafür entgelten lassen.
Wunderbare Perspektiven, die „bidirektionales Laden“ – also die Fähigkeit eines E-Autos, sich nicht nur laden, sondern auch gezielt entladen zu lassen – da eröffnet. Das Schöne daran: die technologischen Voraussetzungen existieren bereits. Es gibt sowohl Autos, die „bidi-ready“ sind, als auch entsprechende Wallboxen und Energiemanagementsysteme (EMS) für zuhause.
Das weniger Schöne: Was sich auf dem Papier großartig liest, trifft in der Realität noch auf einige Stolpersteine, vor allem auch beim spannenden „Vehicle-to-Home“-Modell. Spricht man mit Menschen, die sich schon länger mit dem Thema befassen, stößt man auf diese Hürden. Einige von ihnen heißen „Kompatibilität“, „Batteriegarantie“ oder (last but not least) „Kosten“ und im Folgenden kommen wir nicht umhin, sie näher in den Blick zu nehmen.
Kurt Leonhartsberger leitet derzeit mehrere nationale Forschungsprojekte zum bidirektionalen Laden und beschäftigt sich schon seit 2020 intensiv mit dem Thema: „Damals war es in aller Munde und schien kurz vor dem Durchbruch zu stehen. Da habe ich innerlich einen Stress gekriegt.“ Noch in seiner Rolle als Leiter des Forschungsschwerpunkts Erneuerbare Energien am FH Technikum Wien konnte er eine Kooperation mit Nissan einfädeln. In diesem Rahmen wurde eine bidirektionale Ladestation für den Nissan Leaf zur Verfügung gestellt. Leonhartsberger bekam die Gelegenheit, ausgiebig mit dem System zu „spielen“. „Das war am Anfang so: Schauen wir mal, ob sich das Auto wirklich entladen lässt bis hin zu: speichern wir den PV-Überschuss im Auto und ziehen ihn in der Nacht wieder raus.“ Experimentiert wurde auch mit der Nutzung flexibler Strompreise, um das Auto zu laden, sobald die Energie günstig war. „Wir haben dann diese Varianten noch kombiniert und das enorme Potenzial von bidirektionalem Laden gesehen. Das ist eine sehr, sehr positive Erfahrung und ich kann das wirklich nur jedem empfehlen“, zeigt sich der Experte begeistert. Allerdings nicht, ohne ein großes „Aber“ anzuhängen. Der Preis sei nach wie vor sehr hoch und das Marktangebot mager.
Beides beweist Leonhartsbergers aktuelles FFG-Forschungsprojekt „Storebility2Market“, das bidirektionale Ladestationen testet. 50 Hersteller aus aller Welt, die von sich behaupten, „bidi-ready“ zu sein, wurden gebeten, Produkte zur Verfügung zu stellen. Nur sechs Modelle stehen aktuell tatsächlich im Testbetrieb, weil viele der Hersteller den Mund zu voll genommen hatten. Der Preis für die getesteten Stationen bewegt sich zwischen 8.000 und 15.000 Euro und man kann sie tatsächlich kaufen. Problem nur: Die Kompatibilität mit bidi-fähigen Autos ist ungewiss. Denn obwohl es mit der ISO 15118-20 einen universellen Kommunikations-Standard für die Liaison Box-Auto gäbe, bevorzugen viele Hersteller „monogame“ Beziehungen. Das Modell Sospeo & Charge von EVTECH lässt sich etwa nur auf Hondas und Nissans ein. Renault bleibt für seinen R5 mit einer selbst entwickelten Wallbox überhaupt in der eigenen Familie (und die Paarung ist bisher in Österreich nicht erhältlich). Der Hersteller E3/DC hat sich exklusiv mit VW verpartnert, immerhin auch die Töchter Cupra und Skoda sind einbezogen. Doch schon die Nachfrage, ob E3/DC mit einem Skoda Enyaq Coupé aus dem Jahr 2022 zusammenpassen würde, wirft laut Leonhartsberger ein dickes Fragezeichen auf. „Ja, müsste funktionieren“, heißt es. Eine schwammige Basis, um 25.000 Euro (so viel kostet die Ladestation von E3/DC) zu investieren. Bei anderen Herstellern sei das Bild ähnlich, so Leonhartsberger. Zusätzlich sollte die Wallbox auch noch mit dem EMS des Hauses kommunizieren können, da die in den Wallboxen verbauten Energiemanagement-Funktionen für eine effiziente Ladesteuerung nicht ausreichen. Doch laut den FFG-Forscher unterstützen nicht alle Hersteller die gängigen Kommunikationsstandards Modbus, OCPP oder MQTT.
„Bidirektionales Laden ist eine sehr, sehr positive Erfahrung und ich kann das wirklich nur jedem empfehlen.“
Kurt Leonhartsberger
Kurt Leohnhartberger
Der Experte ernüchtert: „Damit entsteht für Endkunden ein absolut frustrierendes Bild: Sehr hohe Anschaffungskosten verknüpft mit der Unsicherheit, ob Ladestation, Fahrzeug und EMS überhaupt kombinierbar sind.“ Noch etwas kommt hinzu: Jede Ladestation braucht vom Netzbetreiber eine Freigabe, denn das Entladen könnte Rückwirkungen auf das Netz haben. Für die meisten Bidi-Wallboxen wurden diese Genehmigungen aber noch nicht erteilt.
Szenenwechsel. Eine Wohnanlage der NÖ Bau- und Siedlungsgenossenschaft im niederösterreichischen Absdorf. Matthias Zawichowski und Lisa Weissinger vom Carsharing-Verein Fahrvergnügen stehen neben einem Nissan Leaf, den sich die Mitglieder des Vereins „teilen“. Auch hier wird seit 2024 – im Rahmen des Forschungsprojekts Car2Flex – bidirektionales Laden ausprobiert. Die bisherigen Erfahrungen sind laut Zawichowski positiv: „Den tagsüber produzierten PV-Strom vom Dach, den wir im Auto speichern, können wir in der Nacht auf die Wärmepumpe der Wohnanlage transferieren und so ihren Autarkiegrad erhöhen. Gesteuert wird die Entladung derzeit noch manuell.“ Ein zweites bidirektionales Carsharing-Auto steht an einer Anlage des Bauträgers NÖSW in Stockerau zur Verfügung.
Was für Einzelne noch schwierig umzusetzen ist (siehe oben), geht im Verbund einfacher: „Wir haben als Forschungsprojekt von der Netz Niederösterreich eine beschränkte Zulassung für das Entladen der Autos bekommen. Mit Chademo-Stecker funktioniert das problemlos“, erklärt Weissinger. Diesen Steckertyp nutzen vor allem japanische Autos. Lösungen für die in Europa gängigeren CCS-Stecker seien aber erst im Kommen, schränkt sie ein.
Einen Schlüssel für die kollektive Nutzung von bidirektionalem Laden sehen die beiden in Energiegemeinschaften. Diese Zusammenschlüsse von Privaten können Strom zu einem eigenen Tarif untereinander austauschen. Zawichowski: „Die Zahlungsbereitschaft für Strom ist zumeist höher als für Mobilität. Aus der Differenz zwischen Ein- und Verkaufspreis des Stroms kann man Mobilität mitfinanzieren.“ In Zukunft werde es Anbieter geben, die als Teil der Wohnhausverwaltung das gesamte Strommanagement übernehmen, unter Einbindung von PV-Anlage, Wärmepumpe und Mobilitätsangeboten wie Lastenfahrrad oder Carsharing. Bidirektionales Laden sollte in diesem Szenario unbedingt eine wichtige Rolle spielen, ist Zawichowski überzeugt: „Wir haben nicht den Luxus, Batterien ungenutzt herumstehen zu lassen!“
Fazit – Die Experten, mit denen ELO gesprochen hat, sind sich einig: Es dürfte noch zwei bis drei Jahre dauern, bis Endkunden zu ihrem E-Auto eine Auswahl an Wallboxen im Preissegment um die 4.000 Euro bekommen, die dann auch mit dem EMS im Haus kompatibel und vom Netzbetreiber zugelassen sind. Für alle außer Technik-Nerds mit Basteltalent oder genug Kleingeld für eines der teuren Plug & Play-Systeme heißt es also derzeit noch: Abwarten und Teetrinken!
Mit dem Atomkraft-Unfall in Fukushima 2011 bekam die Idee, Strom aus der Autobatterie zurück ins Stromnetz (Grid) zu speisen, einen Push. Bei einem Blackout könnten die E-Autos den „Notstrom“ liefern. Noch weitergedacht könnten die mobilen Speicherkapazitäten aber auch als Backup für das Stromnetz bei Nachfragespitzen dienen – damit ließe sich nachhaltiger Solarstrom aus PV-Anlagen flexibler nutzen. Kurt Leonhartsberger rechnet vor, dass man in Österreich bereits mit dem jetzigen Anteil von vier Prozent Elektromobilität ein Drittel der Pumpspeicherkraftwerke für einen kurzen Zeitraum ersetzen könnte. Eine „Milchmädchenrechnung“ zwar. Aber bei einem höheren Anteil von Elektroautos wäre bidirektionales Laden ein ernstzunehmender Faktor für die Energiewende. Bis es so weit ist, sind allerdings noch viele technische und regulatorische Fragen zu klären. Zu diesen wird europaweit intensiv geforscht, auch in Österreich. Neben Car2Flex etwa auch im EU-Projekt ePowerMove mit dem Pilotstandort Klagenfurt.
Das Rückführen von Strom aus der Autobatterie ins Hausnetz wird im Haupttext ausführlich besprochen. Bei Unternehmen mit einer Flotte von E-Fahrzeugen auch als V2B (Vehicle-to-Building) bekannt.
Damit ist gemeint, dass ein Elektrogerät wie ein Staubsauger, eine Kühlbox oder eine Kaffeemaschine direkt an das Auto angesteckt wird. In etlichen Fahrzeugmodellen, wie Volvo EX90, Polestar 3 oder Hyundai Ioniq 5 und 6 ist diese Funktion schon zu haben.
ÖAMTC-Spezialist für Elektromobilität
Wie hoch ist das Interesse an bidirektionalem Laden in Österreich?
Auf der Mobilitätsmesse Vienna Drive hatten wir viele Anfragen dazu. Vehicle-to-Home ist vor allem für viele E-Auto-Besitzer, die ihr Eigenheim mit einer PV-Anlage ausgestattet haben und einen kleinen Stromspeicher besitzen, interessant. Sie sehen in der Autobatterie die Möglichkeit für eine Speichererweiterung.
Sorgen das ständige Laden und Entladen eigentlich für einen schnelleren Batterie-Verschleiß?
Erste belastbare Studien, etwa von der RWTH Aachen, verneinen das. Die Belastung der Batterie durch die Fahrweise ist demnach um ein Vielfaches höher. Auch ständiges Schnellladen ist für die Batterie eine höhere Belastung. Be- und Entladen in einem Spektrum zwischen 40 und 80 Prozent schadet dagegen nicht.
Sehen das auch die Autohersteller so oder begrenzen sie die Garantie für Batterien, die aktiv entladen werden?
Es gibt noch wenige Hersteller, die das bidirektionale Laden möglich machen. Derzeit fehlt es den Herstellern noch an Erfahrung, wie weit es auf die Alterung der Batterie Einfluss hat. Deshalb sind die Vorgaben der Hersteller sehr unterschiedlich. In Zukunft wird das bidirektionale Laden zu einer Wettbewerbsfrage werden. Wer ein bidirektionales Fahrzeug ohne Einschränkungen auf den Markt bringt, wird einen klaren Wettbewerbsvorteil haben.